Bei medizinischen Transporten zeichnet sich eine Neuerung ab, die das bestehende Transportsystem aus Krankenwagen und Rettungshubschraubern ergänzen kann. In der Gesundheitsregionplus Unterallgäu-Memmingen soll der Einsatz von so genannten eVTOLs, von elektrisch betriebenen Senkrechtstartern erprobt und evaluiert werden, die vor allem bei zeitkritischen Diagnosen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall die Überlebens- und Heilungschancen optimieren können. Das Pilotprojekt in unserer Region wird wissenschaftlich eng begleitet. Bei einer Podiumsdiskussion im Maximilian-Kolbe-Haus, moderiert von Nicola Galm, Leiterin der Gesundheitsregionplus, wurden die medizinischen, technologischen und gesundheitsökonomischen Aspekte des Projekts beleuchtet.
Der Bedarf nach schnellen medizinischen Transporten sei heute bereits hoch und werde durch die zunehmend älter werdende Gesellschaft noch deutlich ansteigen, erklärte Prof. Dr. Peter Biberthaler, Direktor Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie, Klinikum rechts der Isar/ Technische Universität München. Die Notwendigkeit von Patiententransporten würde auch mit Blick auf anstehende Veränderungen in der Krankenhauslandschaft zunehmen. Als 2017/18 die ersten elektrischen Senkrechtstarter ins Gespräch kamen, habe er Kontakt zu Prof. Dr. Florian Holzapfel, dem Direktor des Instituts für Flugsystemdynamik an der Technischen Universität München aufgenommen und die Idee für ein eVTOL das explizit für medizinische Transporte entwickelt werden sollte, entstand. Eine intensive Zusammenarbeit begann und die privatwirtschaftlich finanzierte technische Entwicklung des eVTOLs durch Prof. Dr. Rudolf Schwarz, Investor und CEO des Unternehmens IABG, mündete in der Präsentation eines Prototyps im Juli dieses Jahres durch die Firma ERC System in Ottobrunn. Prof. Biberthaler betonte die zentralen Vorteile des eVTOL: Der Transport sei schnell, erschütterungsfrei und dabei auch noch emissionsfrei. „Wir Mediziner wünschen uns dringend mehr Lufttransportkapazitäten.“
Der Bedarf der Medizin treffe auf eine weit fortgeschrittene Entwicklung elektrischer Antriebe, hohe Energiedichte von Batterien, auf hochentwickelte Sensoren und moderne Fertigungsmethoden, erläuterte Prof. Dr. Florian Holzapfel. „Es wird aktuell weltweit an eVTOLs entwickelt. Wir können heute Flugzeuge deutlich leichter bauen als vor 20 Jahren bei einer deutlich geringeren Komplexität. Was mich an unserem eVTOL für medizinische Transporte besonders freut: Die Lösung kommt aus Bayern“, machte der Experte in Flugsystemdynamik auf den Entwicklungsstandort in Ottobrunn bei München aufmerksam. Ein großer Vorteil des eVTOLs gegenüber dem Hubschrauber seien die deutlich geringeren Herstellungs- und Wartungskosten.
Um die Kosten des Systems eResCopter zu evaluieren, wird das Projekt in der Modellregion von Prof. Dr. Franz Benstetter, Professor für Sozialversicherungen und Gesundheitsökonomie an der Technische Hochschule Rosenheim begleitet. In den kommenden fünf Jahren bis zur luftfahrtrechtlichen Genehmigung des neuen Fluggeräts sollen Einsätze oder Fahrtzeiten analysiert und Modellrechnungen zu Kosten und Nutzen erstellt werden. „Die neue Technologie ermöglicht ein neues Denken. Was kann diese Innovation dem Gesundheitssystem bringen? Wie kann man mithilfe dieser Technologie die Versorgungslandschaft optimieren?“, erklärte Prof. Benstetter die Forschungsfragen zur gesundheitsökonomischen Evaluation in der Modellregion.
Das Publikum hatte viele Fragen an die Experten aus der Wissenschaft. Eine Mitarbeiterin aus der Kinderheilkunde wollte wissen, ob auch Transporte von Frühgeborenen angedacht seien. Prof. Biberthaler verneinte dies, ein Inkubator sei zu schwer für einen Transport im eVTOL. Ein Hobby-Modellflieger erkundigte sich nach der Flughöhe des eVTOL. Diese bewege sich bei den relativ kurzen Flügen Interhospitalflügen zwischen 1000 und 2000 Fuß, informierte Prof. Holzapfel. Eine Rettungssanitäterin fragte nach der Zukunft des Rettungsdienstpersonals. Es werden zukünftig aufgrund der demographischen Entwicklung deutlich mehr medizinische Transporte notwendig, erläuterte Prof. Biberthaler. Das System eResCopter werde das bestehende System nicht ersetzen, sondern komme ergänzend hinzu.